Am 30. April fand im Rahmen von „FreiTagsZeit“, einer Kulturreihe der Reformierten Kirchgemeinden Möhlin und Wegenstettertal, eine weitere Kulturveranstaltung statt.
Coronakonform mit genügend Abstand und Maskenpflicht: Im Kirchgemeindehaus Möhlin besuchten gut 20 Personen die Autorenlesung von und mit Karl Rühmann. Sein Roman „Der Held“ wurde 2020 für den Preis des Schweizer Buchhandels nominiert.
Der in Briefform verfasste Roman erzählt die Geschichte dreier Menschen 10 Jahre nach einem Krieg aus ihrer jeweiligen Sicht: die des verurteilten Majors, die des freigesprochenen Generals und dessen Haushälterin, die ihren Mann an den Krieg verloren hat. Es ist trotzdem kein Kriegsroman – es geht darum, Begriffe wie Schuld und Vergebung, Heldentum und Verantwortung, aber auch Freundschaft aus der jeweiligen Erfahrung und Haltung des Lesers, der Leserin zu bedenken, zu überdenken.
Der Roman, eine Mischung aus Fiktion, realen Schauplätzen und persönlichen Erfahrungen, bietet Möglichkeiten, die eigene Haltung diesen Themen gegenüber zu überdenken. Karl Rühmann versteht es vortrefflich, schwierige Themen elegant und respektvoll zur Diskussion zu stellen. Dank dem fast familiären und vertrauten Rahmen gelang es dem Publikum leicht, Fragen zu stellen, einerseits zum Inhalt, aber auch zu Schreibstil und Entstehung des Romans, der Schriftstellerei im Allgemeinen und auch zur Biografie des Autors.
Der nächste Anlass aus der Reihe „FreiTagsZeit“ ist für Ende August vorgesehen. (bm)
ausführliche Fassung:
„Der Held“ – mit Karl Rühmann
Karl Rühmann gehört nicht zu den bekanntesten Schriftstellern in der Schweiz. Das könnte sich aber bald ändern. Das Publikum im reformierten Kirchgemeindehaus Möhlin war am 30. April von seiner Lesung und dem anschliessenden Gespräch begeistert.
Karl Rühmann las aus seinem Briefroman „Der Held“. Schon zu Beginn beeindruckte seine ausdrucksstarke und bildhafte Sprache. Dann aber auch das Thema. Rühmanns Roman besteht aus fiktiven Briefen, insbesondere zwischen zwei ehemals gegnerischen Offizieren, die sich dem Haager Kriegstribunal stellen mussten. Er geht die Frage nach: Was macht den einen zum Helden und den anderen zum Kriegsverbrecher? „Der General“ wurde freigesprochen und als Held zuhause willkommen geheissen, obwohl er den Tod von 120 Zivilisten verursacht hat. Der andere sitzt noch im Gefängnis, wo sich beide kennengelernt hatten, und hat wenig Aussicht auf einen Freispruch.
Schuldig oder unschuldig?
Rühmann behandelt anhand des Briefwechsels Fragen rund um Schuld und Verantwortung im Krieg. Eine Kernaussage des Generals im Brief an den ehemaligen Feind lautet: „Ich verstehe, dass ich unschuldig bin, aber ich fühle es nicht.“ Er hatte eine Brücke sprengen lassen und damit vielen Menschen den Fluchtweg abgeschnitten. Nun fragt er sich: Warum haben wir zugelassen, dass sich die Lage so entwickelte, dass die Brücke gesprengt werden musste? Und er bilanziert: Der Krieg hat uns in die Rolle von Feinden getrieben.
Anna, die nach der Freilassung des Generals dessen Hausangestellte geworden ist, kommt dem Briefwechsel auf die Spur und ringt mit der Frage, wie ihr Arbeitgeber mit seinem ehemaligen Feind fast schon freundschaftlich verkehren kann. Auch sie schreibt Briefe, nämlich an ihren verstorbenen Mann, der sich wegen dem Krieg sein Leben genommen hat. Hier kommt nochmals ein ganz anderes Spannungsfeld zum Tragen: Dasjenige der konkret Betroffenen, die Mühe haben, wenn Krieger, die so viel Leid über die Menschen gebracht haben, Freunde werden.
Der biografische Hintergrund
Auf die Frage nach seinem persönlichen biografischen Hintergrund dieses Buches erläutert Rühmann, dass er selbst als Soldat am Jugoslawien-Krieg beteiligt war. Dort hatte er erlebt, wie ehemalige Schulkameraden plötzlich auf den gegnerischen Seiten kämpften. In einem Interview sagte er kürzlich: „Das System kann Bedingungen schaffen, in denen es leichter ist, im Mitmenschen einen Feind zu sehen und auf ihn zu schiessen. Aber auch: „Nicht das System, sondern die Menschen verursachen Kriege.“ Dahinter steht eine weitere Einsicht: „Wahrheit ist eine Frage der Perspektive.“ „Der Held“ – erst der zweite Roman Rühmanns, wurde für den Schweizer Buchpreis nominiert. (im.)
Der Anlasses fand im Rahmen der gemeinsamen Kulturreihe der beiden reformierten Kirchen Möhlin und Wegenstettertal unter der Leitung von Barbara Maass statt. Mehr über den Schriftsteller erfährt man auf seiner persönlichen Webseite www.karl-ruehmann.com